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Politische/wirtschaftliche Situation in der Westbank

Bei Diskussionen mit meinen Radebeuler Freunden wurde mir deutlich, daß sie ebenso wenig Sachkenntnis von der politischen und wirtschaftlichen Situation in der Westbank haben wie ich zu Beginn meiner Reise nach Israel. Deshalb versuche ich, eine kurze Zusammenfassung zu geben. Grundlage hierfür ist mir das Buch "Nahost - Geschichte und Struktur des Konflikts", Verlag Leske und Budrich Opladen, 1996.

Der Nahost-Konflikt wurde durch den konkurierenden Anspruch von Zionisten und Palästinensern auf ein und dasselbe Land ausgelöst. Zwei Nationen, ein Land: Das ist die Ursache des Konfliktes. Der Anachronismus zwischen beiden Völkern ist also primär eine nationale Gegnerschaft zwischen Israelis und Palästinensern und nicht eine religiöse zwischen Juden und Moslems.

Uns allen ist sicher bekannt, daß die zionistische Bewegung im Judentum seit Ende des vorigen Jahrhunderts begann, Palästina zu besiedeln mit dem Ziel der Gründung eines jüdischen Nationalstaates in diesem Heiligen Land. Bis zum 1. Weltkrieg gehörte das ganze Gebiet zum osmanischen Reich, und erst als Reaktion auf den zionistischen jüdischen Nationalismus begannen die dort lebenden Araber, ein eigenes Nationalbewußtsein und eine palästinensische Nationalbewegung zu entwickeln und wie andere Dritte-Welt-Länder gegen Großbritannien, das nach dem 1.Weltkrieg als Kolonialmacht regierte, die zunehmende Zahl jüdischer Einwanderer und die Versuche, einen jüdischen Nationalstaat zu bilden, zu kämpfen. Darin waren sie unterlegen. Das palästinensische Volk verinnerlicht die Schmach der totalen Niederlage gegen den jungen Judenstaat (1948) und die bittere Erfahrung der Flucht und Vertreibung in diesen Anfangsjahren mit dem Wort "An-Nakba"(Arabisch: die Katastrophe).

Die um 1950 aus dem Gebiet des heutigen Staates Israel vertriebenen oder geflohenen Palästinenser (lt. UNO 750 000) wurden von den anderen arabischen Staaten nicht integriert und leben zum Großteil noch heute in Flüchtlingslagern. Auch Israel gestattet ihnen die Rückkehr nicht. Demgegenüber sind die in Israel lebenden Palästinenser israelische Staatsbürger.

Als Westbank wird das Westjordanland bezeichnet, das vor dem israelischen 6-Tage-Krieg (1967) von Jordanien besetzt war. Dazu gehören auch Ostjerusalem und die Altstadt von Jerusalem . Die größten Städte sind Dschenin, Nablus, Ramallah, Jericho, Bethlehem und Hebron. Lt. Entschließung Nr. 242 forderte der UN-Sicherheitsrat den Rückzug der israelischen Truppen Israel hat jedoch Jerusalem annektiert und hält das restliche Gebiet bis auf die Städte, die seit einigen Jahren unter Verwaltung der PNA (Palästinensische Nationalverwaltung) stehen, bis heute besetzt; es gilt ein Gemisch aus osmanischem, jordanischem und israelischem Besatzungsrecht.
Aber es gab eine "schleichende" Annektion durch die israelische Siedlungspolitik für diese besetzten Gebiete. Diese Siedlungen entstanden als vorrangig militärisch-strategisch wichtige Punkte oder große Schlafstädte, einige wurden durch fanatische jüdische Extremisten gegründet.
Auf die sich daraus ergebende Situation für die palästinensische Bevölkerung in den besetzten Gebieten wurde die Weltöffentlichkeit durch die "große Intifada", den Volksaufstand gegen Besetzung und Unterdrückung in der Westbank und im Gazastreifen (1987-1993), aufmerksam. Der "Krieg der Steine", Jugendliche und Kinder, die sich mit Steinen , Steinwällen, Molotowcoctails und brennenden Autoreifen gegen die 20-jährige israelische Besetzung und die Reaktionen der israelischen Armee zur Wehr setzten, war in einer Stadt im Gazastreifen entflammt und hatte innerhalb weniger Tage alle Stätte und Dörfer in Gaza und Westbank erfaßt. Er kam sowohl für die Israelis als auch für die PLO überraschend, und die israelische Armee, die nicht ausgebildet war, gegen rebellierende Zivilisten zu kämpfen, reagierte überdimensional: nicht nur mit Tränengas und Schlagstock, sondern auch mit scharfer Munition. Im ersten Jahr starben über 450 Palästinenser und 11 Israelis. Später übernahm die PLO die Führung der Intifada und rief zum Boykott auf; darauf antwortete die israelische Militärregierung mit Zwangsmaßnahmen. Durch Ausgangssperren und Erlaß militärischer Sperrzonen wurden Orte tagelang von der Außenwelt abgeriegelt, Schulen und Universitäten wurden geschlossen, Elektrizität und Telefon abgedreht, Bauern an der Einbringung der Ernte gehindert. Noch repressiver wirkten die pauschalen Massenverhaftungen, die die Errichtung neuer Haftlager nötig machte, die monatelange Inhaftierung ohne Rechtsschutz und Gerichtsurteil, die Folterungen, die Deportation von Anführern und die Sprengung von Häusern.

Mit der Intifada vollzog sich ein Wandel innerhalb der PLO. Es setzten sich diejenigen Kräfte durch, die Friedensverhandlungen und das Nebeneinander zweier Staaten - eines israelischen und eines palästinensischen - anstrebten, aber es wurde in dieser Zeit auch die islamisch-fundamentalistische Bewegung HAMAS gegründet, deren Aktivisten begannen, mit Maschinenpistolen zu schießen und Handgranaten zu werfen und nicht nur israelische Soldaten , sondern auch Zivilisten zu töten, und es begann eine "Volksjustiz" gegen palästinensische Kollaborateure.

Die Friedenspolitik nach dem Golfkrieg, den "Historischen Händedruck" von Arafat und Rabin und die Verleihung des Friedensnobelpreises haben wir sicher noch in unserem Bewußtsein. Aber schon von Rabin wurde die Umsetzung der Osloer Verträge verschleppt, aus Angst, die jüdischen Siedler innerhalb einer arabischen Autonomieverwaltung nicht vor Gewaltakten der HAMAS schützen zu können. Der regierungsseitige Stopp des Baus jüdischer Siedlungen in der Westbank wurde durch Privatinitiativen und mit Spendengeldern weitergeführt, und unter der Regierung Netanjahu kam der Friedensprozeß ganz zum Stillstand.

Für die Verhandlungen zwischen Barak und Arafat ist die jetzige Situation nicht einfacher: Die Westbank gleicht durch die massive Siedlungspolitik (vor allem 1987 bis 1992 und 1998 bis zur Wahl 1999) einem Flickenteppich. Durch die Teilung in "Zone A" (3 %, palästinensisch verwaltet), "Zone B" (23 %, palestinenisch verwaltet, aber mit israelischer Militäroberhoheit) und "Zone C"(74 %, israelisch verwaltet) fährt man als Ausländer ständig durch irgendwelche Grenzkontrollen; Palästinensern ist vorgeschrieben, welche Gebiete sie ohne Sondergenehmigung betreten dürfen, und Israelis benutzen vorwiegend neugeschaffene Highways, die sie auf kurzem, sicherem Weg aus den "Schlafstätten" nach Jerusalem oder Tel Aviv bringen.

Sowohl extremistische jüdische Siedler als auch HAMAS drohen mit Gewalt. Beide sind zahlenmäßig kleine Minderheiten, aber sie erschweren den Friedensprozeß durch ihre Gewaltbereitschaft, und jeder noch so kleine Gewaltakt läßt in den einfachen Menschen - so mein Eindruck - immer wieder pauschale Feindbilder aufleben - und damit verbundene übermäßige Reaktionen.

Eine gewachsene Volkswirtschaft gibt es in der Westbank nicht, und unter den gegebenen Bedingungen schrecken ausländische Interessenten und selbst im Ausland zu Millionären gewordene Palästinenser vor Investitionen zurück. Dadurch hat sich der Lebensstandard der Palästinenser massiv verschlechtert, die Einkommen verringern sich, die Arbeitslosigkeit wächst, die Armut steigt, der pro-Kopf-Verbrauch ist 1996 bis 1998 um 15% gesunken.

Weil ich das Gefühl habe, daß viele Deutsche die Terroranschläge aus dem Fernsehen kennen, aber wenig von den Auswirkungen der Besetzung auf die palästinensische Zivilbevölkerung wissen, hier einige diesbezügliche Zahlen, zusammengestellt im April vom "Israeli Committee against House Demolition" (ICAHD), einer der israelischen Organisationen, die ein gleichberechtigtes, friedliches Nebeneinander von Palästinensern und Israelis wollen und sich deshalb dort für Palästinenser einsetzen, wo deren Rechte von den Israelis beschnitten werden.

  • Landnahme: Seit 1967 hat Israel ca 70% des besetzten Landes unter seine Verwaltung genommen. In dieser Zeit wurden mehr als eine Million acres Agrarlandes enteignet (für israelische Siedlungen, Industrieanlagen, Verbindungsstraßen und Bypaßstraßen, Militärbasen u.ä.) Allein seit 1987 wurden 300 000 Oliven- und Fruchtbäume von palästinensischen Feldern zerstört - nur 1998 17 000.
  • Siedlungseinheiten: 180 Siedlungen wurden in der Westbank errichtet, in denen 180 000 Siedler wohnen - 350 000, wenn man die Israelis mitzählt, die in "Nachbarschaft" zum "Größeren" Jerusalem entlang der "grünen Linie" wohnen. 13 neue Siedlungen sind in den letzten paar Monaten entstanden, Sharon's Aufruf "nehmt die Bergkuppen" folgend.
  • Hauszerstörungen: 6 000 palästinensischer Häuser wurden in der Westbank und Ostjerusalem seit 1967 zerstört, mehr als 2000 seit 1987, welche einige 30 000 Palestinenser heimatlos machten. Auch die beduinische Bevölkerung wird vertrieben und in "Reservationen" gedrängt. 1998 wurden 163 Häuser zerstört, 1999 bisher mehr als 50., 2000 Anweisungen zum Abriß der Häuser wurden in der Westbank noch nicht ausgeführt, weitere 2000 in Ostjerusalem.
  • Die Motivation für den Abriß dieser palästinensischen Häuser ist einfach politisch, obwohl ein ausgeklügeltes System von geplanten Regulierungen, Gesetzen und Verfahren ausgearbeitet wurde, ihm eine legale Rechtfertigung zu geben. Das Ziel ist es, die 2 Millionen Bewohner der Westbank und Ostjerusalems in schmalen, überfüllten, impoverished und getrennten "bantustans" zusammenzudrängen, welche effektiv jede reale palästinensische Eigenständigkeit verhindern und die israelische Kontrolle sichern, auch wenn die Palästinenser einige Formen internationaler "Autorität" erreichen.
  • Massive Netzwerke von Bypaß-Straßen: 12 neue Bypaß-Highways werden vehement gebaut, Teil eines massiven Systems von 29 solcher Straßen. Jede Straße ist 50 Meter breit mit zusätzlich rechts und links je 150 m "Sanitärbereich", welche dazu dienen, das Wachstum palästinensischer Städte und Dörfer zu begrenzen. Diese Bypaßstraßen schließen israelische Siedlungen zu Siedlungsblöcken zusammen, welche die palästinensischen Ortschaften umschließen.
  • Umweltverschmutzung: Die industrielle Verschmutzung ist dadurch verursacht, daß die hochverschmutzende Industrie Israelis - wie Alluminium-, Batterieherstellung, Bereiche der chemische Industrie u.a. in die Westbank verlagert wurden.
  • Aussperrung und ökonomische Kriegsführung: in den letzten 5 Jahren war es den Palästinensern unmöglich, sich frei ohne Pässe oder Sondergenehmigungen zu bewegen, d.h. auch, unmöglich, nach Jerusalem zu gehen zur Ausübung ihrer Religion, der Arbeit oder des Wohnens.
  • Verletzungen des Menschenrechts und psychologische Kriegsführung: Israel versucht, den verbindlichen Charakter von Menschenrechtsgesetzen zu ignorieren, wie sich an den Aktionen im besetzten Gebiet zeigt. Das schließt auch Einschüchterung, Kollektivstrafen, Verweigerung von Wohn- und Arbeitsrechten und die Kriminalisierung des täglichen Lebens der Palästinenser ein.


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