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Rundbrief November 1999

11.11.99

Inzwischen habe ich guten Kontakt zu den Kindern und Mitarbeitern im Heim. Heute durfte ich einem ganz und gar spastisch gelähmten und verkrüppelten Kind alle Muskeln und Gelenke trainieren. Ein neues, gutes Gefühl, zu merken, was da in und an einem anderen Menschen passiert und wie das Menschlein dabei strahlt. Im Heim geben sich alle Mühe mit den Kindern und auch mit den großen jungen Männern und den Frauen, die in einem zweiten Haus in der Nähe untergebracht sind, die Betreuerinnen, die Therapeuten, der Arzt, die Studentinnen, die hier schlafen, die Kinder abends und nachts betreuen und damit ihr Studium finanzieren, die Putzfrauen... Sie geben ihr Bestes. Jetzt leben Das Haus hier hat vier Stockwerke; im Erdgeschoß sind die Verwaltung, die Küche und eine physiotherapeutische Abteilung , die öffentlich ist, untergebracht. Im ersten Stock leben die ca. 70 meist geistig und körperlich behinderten Kinder.

Vorgestern war ich mit Fabrizio, einem Mitarbeiter des TIPH, in Hebron unterwegs. Der TIPH ist eine internationale Beobachtergruppe, die eingesetzt wurde, um den Palästinensern ein Sicherheitsgefühl gegenüber den jüdischen Siedlern zu geben. Entsprechend dem Abkommen zwischen den Regierungsvertretern von Norwegen (als "Chef"), Schweiz, Italien, Türkei, Dänemark, Schweden , Palästinensischer Autonomiebehörde und Israel dürfen max. 180 Menschen in der Gruppe arbeiten, z. Zt. sind es 110. Ihr Einsatz ist auf Hebron beschränkt. Ihr Mandat engt sie sehr ein; sie können jederzeit verboten werden, und sie dürfen ihre Berichte nicht veröffentlichen.
Fabrizio zeigte mir, wie in der Innenstadt auf vielen Dächern israelische Soldaten sitzen, um die Siedler, die sich zumeist in palästinensischen Häusern in den oberen Wohnungen eingenistet haben, zu schützen und - wie die Siedler - aus Langeweile Steine herunter fallen lassen oder Unrat, manchmal auch Farbkübel, und manchmal aus Langeweile auch schießen, und wie so versucht wird, die Palästinenser dazu zu bringen, Wohnung um Wohnung, Haus um Haus zu verlassen. Dann renovieren es die israelischen Siedler und nehmen es in Besitz; Palästinenser dürfen an ihren Häusern nichts reparieren. Jeder israelische Siedler hat selbstverständlich seine Pistole bei sich. Palästinenser, bei denen ein Messer gefunden wird, das länger ist als 10 cm, kommen ins Gefängnis. Das alles hat mit Frieden wirklich nichts zu tun.

Anschließend waren wir zur Eröffnung einer Gemäldeausstellung zugunsten palästinensischer Kinder, die vom Goetheinstitut getragen wird. Die Frau des Direktors der Vertretung in Ramalla bestätigte mir, daß das, was die Palästinenser hier auszuhalten haben, alles andere übertrifft.

Eine Nacht habe ich in Jatta - einem wunderschönen Dorf südlich von Hebron - bei einer jungen Kollegin zugebracht. Gut und erholsam, diese Begegnung mit der Großfamilie dort. Und mit dem Christian Peacemaker Team, unter ihnen Reinhard aus Hamburg, war ich zu einer Hauswiederaufbauaktion in Bethanina am Stadtrand Ramallas, zu einem Flötenkonzert und zum Abschlußgottesdienst einer Tagung der Mennoniten in Jerusalem. Ich habe mir auch den neu eröffneten Checkpoint der Durchgangsstraße nach Gaza angesehen. Die Palästinenser müssen sich einer gründlichen Kontrolle durch die Israelis beugen - mit ca. zwei Stunden Wartezeit. Es erinnert an die Durchfahrt Westdeutscher durch Ostdeutschland und das Verhalten der DDR-Kontrollkräfte. Iraelis und Ausländer haben selbstverständlich freie Fahrt. So erscheint auch das nur als "Aushängeschild" für den Friedensprozeß.

Es ist deprimierend. Und es regnet nicht. Der Regen hätte vor einem Monat einsetzen müssen. Ich habe mein Konto weit überzogen und ich erlebe jetzt viel unmittelbarer als zuvor, wie es ist, wenn man sich aus finanziellen Gründen jede Fahrt genau überlegt, jede Veranstaltung, jedes Treffen mit Freunden, auch jede Teilnahme an gewaltfreien Aktionen. So geht es mir, noch viel mehr aber den Menschen hier. Und denen nicht aus freiem Willen. Heute brennt ein kleines Feuer im Hof. Es ist kalt, aber das Feuer wärmt alle, die Familie und die Gäste. Wir trinken warmen Tee mit Nana (Pfefferminze) und knappern irgendwelche Körner. Es ist schön.

Ich wünschte, Ihr wäret zeitweise hier.

Eure Barbara


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