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Mein derzeitiger "Zustand"

El Aisarya, den 7.7.99

Liebe Freunde,

Es ist jetzt fast sechs Wochen her, seit ich Beit Noah verließ. Ich habe begriffen, daß ich der Situation nicht gewachsen war: Der Differenz zwischen dem Bild, das ich aus den Briefen von Yvette und Sibylle hatte, und der Wirklichkeit, der (eingebildeten?) Pflicht, den Aufgaben, die lt. Yvette eine Hausmutter zu erfüllen hatte, nachkommen zu müssen, dem fehlenden "miterleben" von Aktivitäten im Haus als Anleitung, den sich z.T. widersprechenden Erwartungen der jungen Palästinenser auf der einen Seite und der deutschen Freunde und Unterstützer auf der anderen, und das alles in einem mir fremden Land mit einer mir fremden Kultur und Mentalität.

So habe ich versucht, eine gewisse Struktur in das Alltagsleben, die Organisation der Finanzierung und auch in die Ziele des Hauses zu bringen, und das möglicherweise in einer Art, die die anderen vor den Kopf gestoßen hat. Ich fühlte mich letztlich nicht respektiert und allein gelassen und krank, und es hat einige Zeit - und Elisabeths Tatkraft - gebraucht, aus diesem Tief herauszufinden.

Am letzten Wochenende hatten Herbert Fröhlich vom Vorstand des OeD und ich Zeit, darüber und auch über meine Zukunft zu sprechen. Ein kleiner Trost, daß Herbert mir sagte, daß es nahezu unmöglich war, diese Situation zu meistern und daß mein Dasein trotzdem gut war, weil dadurch die unabhängig von mir bestehende Orientierungslosigkeit deutlich bewußt geworden ist. Es scheint auch so, daß die jungen Männer und Sibylle jetzt wirklich einen eigenen Anfang in einem neuen Haus mit neuem Namen machen, bereit sind, die Kosten zu tragen, die nicht über Einnahmen durch Gäste gedeckt werden, und begonnen haben, auch inhaltlich eigene Ziele festzuschreiben und in diesem Sinne aktiv zu werden. Ich wünsche ihnen dafür alles Gute.

Ich merke, daß ich froh bin, aus dem Haus gegangen zu sein. Es schafft mir den Freiraum, dem nachzugehen, was ich im Moment für wichtig halte: dem "mit den Menschen hier leben, sie begleiten, Zeuge sein" in der Auseinandersetzung mit der Okkupation, ihren Folgen und den vielen Verwundungen der Seelen - zusammen mit den Gruppen aktiver Israelis, die ich zwischenzeitlich kennengelernt habe. Zusammen mit Herbert Fröhlich habe ich Ideen gesammelt, wie ich das nächste halbe Jahr als Praktikum im Friedensdienst fortsetzen kann, als Lernende, die nicht von selbst gestellten Pflichten oder Erwartungen anderer zugeschüttet wird.

Das heißt: Ich muß mit dem Friedensarbeitskreis auswerten, was war, und -falls er das mittragen kann- eine neue Vereinbarung treffen. Ich werde Christian Garve bitten, mich zu unterstützen, daß ich dieses halbe Jahr für einer Organisation - möglichst Eirene , z. Bsp. als Friewilligendienst für Ältere - tätig bin.

Mein "Programm": Wohnen unter Palästinensern, mit einer Familie (wenn möglich, in Halhul im Haus der Eltern von Khalil in eigenen Räumen), aber auch zeitweise bei einer jüdischen Familie, wenn ich dazu Gelegenheit finde,

und von dort aus "nach außen gehen", teilnehmen wie bisher an Aktivitäten gegen Hauszerstörungen, Demonstrationen und Diskussionsrunden,

Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Christlichen Peacemaker Team in Hebron und, wenn möglich, Sammlung praktischer Erfahrungen und Kontakte durch volontarische Arbeit, z. Bsp. für die (Wander-) Leihbücherei für Kinder des Palästinensers Nafez sowie für die Jerusalemer "Rabbiner für Menschenrechte"

Außerdem hat mir Diet, eine Holländerin, die seit ca 20 Jahren hier in einem Kinderheim arbeitet, vorgeschlagen, mit ihr zusammen Leute aus dem Dorf zu Gesprächs- und Spielrunden zum Themenkreis "Gewalt, Wut, gewaltlose Lösungswege" einzuladen.

Das alles vorzuklären, brauche ich die nächsten Wochen im Juli. Ende Juli/Anfang August möchte ich dann für ca. 1 Monat heimgehen, mit dem FAK, dem OeD, dem ÖIZ, Eirene oder anderen für die Arbeit hier wichtigen deutschen Partnern sprechen. Ich möchte an einem Seminar des OeD "Interkulturelle und Interreligiöse Friedensarbeit",vom 22.-27.8.teilnehmen, in dem Christoph Ziemer und Ljubinka Petrovic-Ziemer über ihre Arbeit im "Haus Abraham" in Sarajevo berichten, genau wie hier ein Konfliktfeld zwischen den drei monotheistischen Religionen. Ende August/Anfang September, denke ich, wäre eine gute Zeit für einen oder mehrere Lichtbildervorträge.

Im nächsten halben Jahr (also ca Sept. bis Febr.) sollte mir klarwerden, ob für mich hier oder in einem anderen Land Friedensdienst zu einer "Lebensaufgabe" werden könnte (Schalomdiakonin), und sich auch abzeichnen, ob mein Betrieb seinem Angebot, mich wiedereinzustellen, nachkommen kann. Falls ich einen mehrjährigen Dienst im Ausland aufnehmen will, wäre es richtig, mich im kommenden Jahr an einer 3-4-monatigen Ausbildung, z. Bsp. vom "Forum für Zivilen Friedensdienst" in NRW dafür zu qualifizieren, und es wäre denkbar, von einer Organisation angestellt und - über Fördermittel aus der Bundesregierung - finanziert zu werden.

Soweit der derzeitige Stand .

Im Moment geht es mir recht gut. Ich schreibe für Marylene Geschichten in den Computer, aus denen vielleicht ein Buch werden soll - eine wunderbare, sehr intensive Form für mich, die "Seele" dessen, was in den letzten dreißig Jahren hier passierte, kennenzulernen. Dienstags und Donnerstags nachmittags gehe ich zum Arabisch-Kurs, aller 14 Tage will ich nach Beit Sahur zu einem israelisch-palästinensischen Diskussionskreis gehen; morgen wollen wir bei der Fertigstellung eines Hauses mitwirken - die dann als "Ende der Zerstörungen aufgrund des Regierungswechsels" gefeiert werden soll - mit Einladungen an Journalisten, Arafat und Barak (die natürlich nicht wirklich erwartet werden). Diese Aktionen des Wiederaufbaus zerstörter Häuser, gemeinsam durch Israelis, Palästinenser und Ausländer, den Polizei- und Armee-Übergriffen und der erneuten Zerstörung im Auftrag der Staatsorgane zum Trotz - halte ich für eine der schönsten und effektivsten Formen des hiesigen gewaltfreien Widerstandes und auch des Aufbaues von Vertrauen zwischen Palästinensern und Israelis.

Inzwischen ist es sehr heiß geworden, Marylenes Haus liegt in El Aisaryia, der Wüste viel näher als Abu Dis, alles verstaubt, mit Blick auf Maale Adumin, eines der größten Settlements. Mit Herbert besuchten wir die Beduinen, die wegen dieses Settlements auf einen Hügel zwischen beiden Orten, neben einer Müllkippe, vertrieben wurden. Sie leben in einfachen Baubuden - für feste Häuser kriegen sie keine Baugenehmigung - und kämpfen gerade um die Erlaubnis, einen Kindergarten errichten zu dürfen. Auch diese Beduinenvertreibungen scheinen noch nicht beendet zu sein...

Ich denke an Euch, an den Sommer, das Baden gehen in einen kühlen See, im Gras im Schatten liegen, aber auch an die manchmal kühlen, verregneten Julitage in Deutschland.

Ich hoffe sehr, daß Ihr mich und meine Gedanken verstehen und mittragen, auf mich warten, mit mir diskutieren, könnt, mir von Euch und Euerem Alltag berichtet und grüße Euch ganz herzlich,

Eure Barbara


Spenden:
Ökumenischer Dienst im Konziliaren Prozeß e.V. (OeD)
Kt-Nr. 10 090 3736, BLZ 523 600 59 bei Waldecker Bank e.G.
Verwendungszweck: Beit Noah (bitte Absender für Spendenqittung fürs Finanzamt deutlich schreiben)


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