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Adventsgruß

Halhul, den 4.12.99

Liebe Freunde,

die Adventszeit hat begonnen, es ist kalt geworden.
Ich habe einen selbst gebundenen Adventskranz aus Zedern im Zimmer, die schöne Krippe aus Olivenholz aufgestellt und nun erklärt, was das für uns bedeutet. Gestern habe ich Freunde eingeladen. Wir waren vielleicht 30 Leute, und ich hatte das Gefühl, daß ich mich niemand richtig widme - den jungen Kolleginnen, die natürlich woanders sitzen mußten als die jungen Männer, die kamen, weil sie mich aus Beit Noah kennen, den Nachbarn und den Europäern, die irgendwo dazwischen waren. Aber die anderen fanden das Gemisch schön. Khalils Mutter gings schlecht, weil es kein richtiges arabisches Fest war mit nur 3 Hühnern in der Maklube. Maklube muß sein. Hühner werden zusammen mit Reis und Eierfrüchten oder Blumenkohl gekocht; dann, wenn alles Wasser verkocht ist, wird der Topf auf de Kopf gestellt auf eine riesengroße Platte. Khalil beruhigte sie: Es ist ja auch keine arabische Einladung. Und der Kuchen, teils von mir und teils von Khalils Schwestern, wurde auch gegessen.

Heute wurde in Bethlehem das 2000. Kirchenjahr nach der Geburt Christi feierlich begonnen. Hier beginnt nächste Woche der Ramadan. 30 Tage lang wird tagsüber (solange der Mond nicht da ist) nichts gegessen, getrunken, geraucht usw., am Abende gibt es aber viel besseres Essen als sonst und auch Kuchen usw., wurde mir erzählt. Alle sitzen zusammen und die Familien laden sich gegenseitig ein. Ich muß am Fasten nicht teilnehmen, ich bin ja kein Moslem, aber ich weiß von vielen Europäern hier in der Westbank, daß sie (nicht so streng ohne Trinken) mit gefastet haben. Es soll ein wirklich besonderer Monat sein. Und die Juden feiern ihr Chanukkafest. So sind eigentlich alle Religionen beieinander.

Vor reichlich einer Woche war ich übrigens für ca. 1 1/2 Stunden in Hebron arrestiert - zusammen mit Marylene, einem andern Bekannten und 11 von den "Christian Peacemakers". Die Peacemaker demonstrierten dagegen, daß ein Marktteil in der Hebroner Altstadt, in der Zone C (unter israelischer Verwaltung) entgegen der Abkommen noch immer nicht eröffnet ist und wollten auf diesem Platz Tomaten verkaufen. Und wir kamen, um welche zu kaufen. Leider zu spät. Die Peacemaker waren schon 10 Minuten nach Beginn der Aktion verhaftet. Ich zeigte meinen Freunden den Platz, und das war genug Grund, uns auch erst mal abzuführen. Nachdem die Polizisten unsere Personalien aufgenommen hatten - und vielleicht auch, weil sie gemerkt hatten, welche diplomatischen Verwicklungen es geben könnte, wenn sie Franzosen, Kanadier, US-Amerikaner und Deutsche festhalten - wurde das Klima ganz freundlich; die Polizisten lachten mit uns, als wir sangen und tanzten, und ich habe mir als Erinnerung den Ableger einer Pflanze erbeten. Soviel ich weiß, wird man bei der vierten Festnahme ausgewiesen. Es ist schön, daß ich mich jetzt ab und zu mit Reinhard, der bei den Peacemakern mitarbeitet, austauschen kann. Ich glaube, daß wir einander ergänzen in der Arbeit: Ich erfahre von ihm von den neuesten Auseinandersetzungen; wie Siedler mit israelischen Soldaten verhindern, daß palästinensische Bauern ihre Felder in der Nähe der Siedlung bestellen oder eine (palästinensische)Bewässerungsanlage anzapfen und das Wasser umleiten., weil sie die Blumen in ihren Straßen gießen wollen oder wo welche Flächen beschlagnahmt und Häuser demoliert wurden. Und ich kann ihm vom Empfinden der (nicht unmittelbar betroffenen) Leute, vom Leben hier, erzählen, und so können wir einander, aber vielleicht durch unser DA sein auch den Palästinensern, helfen, das Geschehene anzusprechen und zu verarbeiten. Frieden - den sich alle wünschen - ist aber nur in Gerechtigkeit und Gleichheit zwischen Israelis und Palästinensern möglich. Davon, das zuzulassen, sind die Israelis weit entfernt, und so bleibt die berechtigte Angst und Gefahr, daß sich die Palästinenser mit Gewalt gegen diese Apartheid wehren, auch zum Beginn des neuen Jahrtausends aktuell.

Ali ist wieder gesund. Wahrscheinlich gibt es keine Möglichkeit für ihn, hier etwas zu lernen. Ich lernte eine Logopädin kennen, die 3 Frauen im Heim weiterbildet. Sie sagte mir, daß es jetzt Anfänge für Taubstummenunterricht gibt, aber nur für ansonsten gesunde Kinder. Die Kinder hier sind zerebral gelähmt, deshalb sind ihre Muskeln nicht so gut ausgebildet wie normal und müssen trainiert werden. Diese Krankheit ist oft auch mit geistiger Bhinderung verbunden, aber nicht immer. Und das ist mein Problem: Das Gefühl, daß hier nicht gut differenziert wird. Man muß wissen, daß die Fürsorge für Behinderte entsprechend ihrer Behinderung und das Bewußtsein, daß diese nicht nur versorgt werden müssen, noch nicht selbstverständlich sind, sondern langsam zu wachsen beginnen. Dabei ist der Anteil Behinderter hoch, bedingt durch die Tradition, innerhalb der Großfamilie zu heiraten, also durchaus auch Cousin oder Cousine.
Ali ist es immer wieder gelungen, die Treppe herunter zu rutschen, weil die Tür offenstand. Das ist natürlich gefährlich für ihn, und so wollten die Betreuerinnen, daß er auf einem Stuhl festgebunden wird. Warum aber übe ich dann ständig mit ihm laufen? Warum steht die Tür offen? Warum ist der Riegel so, daß ihn manche Kinder öffnen können? Eine heiße Diskussion! Ich wüßte gern, wie das in Deutschland ist.

Wie mag es in Deutschland aussehen? Sind die Spannungen zwischen Ost- und Westdeutschen geringer geworden? Schaffen wir Deutschen es, zu einer Solidargemeinschaft zusammenzuwachsen, die die vielen anstehenden Probleme des Strukturwandels gemeinsam bewältigt oder geschieht nach wie vor wenig aus Angst um den Verlust politischen Einflusses oder den Verlust vorhandener Besitzstände? Von hier aus erscheint vieles, was auch mich in Deutschland gefangen genommen und in Unruhe versetzt hat und bestimmt wieder beschäftigen wird, wenn ich zurück bin, so klein und unwichtig! Grade deshalb bitte ich Euch, mich mehr an Eurem Leben teilhaben zu lassen durch Eure Post.

Zunächst wüsche ich Euch eine besinnliche Adventszeit, ein gesegnetes Christfest und einen guten, friedlichen Start in das neue Jahrtausend.

Eure Barbara


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